Unternehmen verstehen, dass die Emotionalisierung von Produkten und Dienstleistungen einen wesentlichen Erfolgsfaktor darstellt. Jedoch findet dieser immer noch mehrheitlich innerhalb des klassischen Marketings statt. So werden Produkte und technische Lösungen von der internen F&E zuerst funktional entwickelt und anschließend im Vermarktungsprozess emotional aufgeladen. Dabei kommt es oft zu einer Wahrnehmungsverzerrung zwischen der Botschaft und dem effektiven Nutzen des Produkts, was zu einem negativen Kundenerlebnis oder gar zu einem Nichtkauf führt. Zudem sitzt die Emotionalisierung nur als Sahnehäubchen auf dem Produkt, während das Produkt selbst komplett emotionsfrei gestaltet ist.
Die zukünftige Herausforderung für Unternehmen wird deshalb nicht nur die aktive Präferenzkonstruktion im Kopf des Kunden sein, sondern die noch weitgehend unbeachtete Konstruktion von emotionalen Kundenwelten im Kopf des Entwicklers. Nur wenn die Entwickler den zukünftigen Kunden wirklich verstehen, können sie zielgerichtet neue Produkt- und Konzeptideen entwickeln, selektieren und umsetzen. Dazu braucht es Ansätze, die über die bekannte interdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen Marktforschung, Forschung und Entwicklung und Marketing hinausgehen. Ein solcher Ansatz wurde an der Stanford University entwickelt und bereits mehrfach erfolgreich eingesetzt: Design Thinking ermöglicht den Entwicklern einen emotionalen Zugang zu künftigen Kundenwelten. Statt von der Marktforschung ein Pflichtenheft zu erhalten, versetzen sie sich selbst in die zukünftigen Kunden hinein. Introspektion und Empathie von interdisziplinären Teams ersetzen somit die sequenziellen Schnittstellen zwischen Marktforschung und Entwicklung.
Gerade in Bezug auf langfristige und radikale Produktinnovationen weist der etablierte sequenzielle Prozess verschiedene Schwachstellen auf. Erstens stößt die klassische Marktforschung an ihre Grenzen, da bestehende Kunden ihre zukünftigen Bedürfnisse oft nicht artikulieren können oder der potenzielle Kunde noch gar nicht bekannt ist. Zweitens fehlt der Marktforschung teilweise das notwendige technische Know-How, um die gesammelten Informationen mit den entsprechenden Technologiefeldern zu verknüpfen. Drittens finden entlang der Prozesskette mehrere Medienbrüche statt, die Raum für subjektive Interpretationen und Verwässerung der Informationsqualität geben, wie aus dem Kinderspiel „Stille Post“ bekannt ist.
Wie also schaffen wir es die zentrale Aufgabe des Innovationsmanagements, wie es bei BMW so schön heißt: „Dem Kunden etwas zu geben, was er haben möchte, von dem er aber nie wusste, dass er es suchte und von dem er sagt, dass er es schon immer wollte, wenn er es bekommt.“, umzusetzen?
Der Design Thinking Prozess ist eine agile und innovative Methodik und zugleich ein Mindset, wobei interdisziplinäre Teams die Bedürfnisse (potenzieller) Kunden in den Vordergrund stellt. Dabei durchlaufen sie 5 Phasen. Es beginnt mit einer offenen Fragestellung, der Design Challenge, und endet mit einem einfachen Prototyp. In allen Phasen spielt der zukünftige Kunde die Hauptrolle, entweder direkte durch Interaktion -Sessions oder mittels repräsentative Sinnbilder, für ein gemeinsames und ganzheitliches Kundenverständnis.
Das eigentlich Wertvolle am Design Thinking Prozess, das zugleich die besondere Herausforderung darstellt, ist, hin und wieder die Logik des sukzessiven Verlaufs von Projekten und seiner an Meilensteinen orientierten Prozessschritte fallen zu lassen. Denn Design Thinking gewinnt seine Wirkung wie auch Effizienz durch den Prozess der Iteration. Die Abfolge der Prozessschritte wird dabei immer wieder durch Schleifen von vorhergehenden Phasen wiederholt. Spätestens beim Testen des Prototypen wird klar, dass durch das Feedback potenzieller Nutzer Überarbeitungen des Prototypen, und somit der Idee, gleistet werden müssen. Zum Prozess des Design Thinking gehört also eine Offenheit gegenüber der Abfolge der Schritte und gegenüber der Möglichkeit, mit Prototypen scheitern zu können. Denn die Methode lebt von einer absoluten Ergebnisoffenheit, und somit auch von einer Kultur der Fehler: Denn jeder Fehlschlag der früh erkannt wird ist ein Gewinn für das Fortschreiten des Innovationsprozesses. Schließlich können hohe Entwicklungskosten gespart werden, wenn ein falscher Weg früh erkannt wird. Die sehr lebendige, da schnell durchgeführte, iterative Art des Design Thinking Prozesses bringt also auch konkrete finanzielle Nutzen mit sich. Insgesamt ist der Prozess also davon gekennzeichnet, dass die einzelnen Prozessschritte weniger idealtypisch strikt aufeinanderfolgen, sondern auch ineinandergreifen können. Dabei entsteht immer wieder ein Wechselspiel aus neutralem Beobachten und Interpretation des Gesehenen, Hypothesen und Experimenten im Prototyping.
Obwohl dabei sicherlich schon vor dem eigentlichen Schritt der Ideengenerierung, etwa bei den Observationen, neue Ideen entstehen können, ist es wichtig, sie vorerst unbewertet und neutral zu sammeln und festzuhalten. Eine zu frühe Fixierung auf eine Idee setzt die Offenheit aufs Spiel, die die Teammitglieder benötigen, um den Prozess voranzutreiben und möglichst viele Eindrücke zu sammeln, ehe die Verarbeitung der gesammelten Daten beginnt. All dies zu beherzigen, ist ein Weg, der Erfahrung mit dem Prozess voraussetzt. Daher ist es unerlässlich, diesen Prozess zu trainieren, ehe sich ein intuitiver Umgang mit dem Design Thinking Prozess selbst einstellt.